Entscheidungskompetenz: Was Führungskräfte von Schiedsrichtern lernen können
In der Welt des Profi-Fußballs steht ein Schiedsrichter ständig unter Druck: Innerhalb von Sekunden muss er Entscheidungen treffen, die das Spielgeschehen maßgeblich beeinflussen. Dabei hat er keine Möglichkeit, sich lange Rückversicherung zu holen oder Entscheidungen aufzuschieben. Diese Prinzipien lassen sich auch auf den Unternehmenskontext übertragen. Entscheiden Führungskräfte zu langsam oder vermeiden Entscheidungen, kann das schwerwiegende Konsequenzen für die Organisation haben. Die Entscheidungstheorie liefert hier wertvolle Ansätze, um Entscheidungen effizienter und treffsicherer zu gestalten.
1. Entscheidungsfindung und die eigene Haltung
Eine klare Haltung zur eigenen Rolle erleichtert die Entscheidungsfindung. Ein Beispiel aus der Schiedsrichterei zeigt, dass es hilfreich sein kann, sich bewusst mit der eigenen Funktion auseinanderzusetzen und sich zu fragen: Welche Kernaufgaben habe ich? Welche Prinzipien leiten meine Entscheidungen?
Dazu habe ich in der Podcast-Folge von Superkräfte erfolgreicher Teams mit dem DFB-Schiedsrichter, Keynote-Speaker und Start-up-Gründer Dr. Arne Aarnink gesprochen. (Podcast-Link)
Ich fand bemerkenswert, wie professionell er die Aufgabe des Entscheidens lebt. Er hat sich drei Rollen definiert, um Entscheidungen bestmöglich zu treffen. In unserem Gespräch hat er erläutert, wie diese Herangehensweise ihm hilft, auf dem Spielfeld klare und souveräne Entscheidungen zu treffen:
- Der neutrale Entscheider: Entscheidungen müssen objektiv und sachlich getroffen werden. Emotionale Voreingenommenheit kann die Urteilskraft trüben.
- Der durchsetzungsstarke Anführer: Eine Entscheidung allein reicht nicht aus – sie muss auch klar kommuniziert und verteidigt werden, um Akzeptanz zu finden.
- Der nahbare Spielleiter: Trotz klarer Regeln ist Empathie entscheidend, um Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen.
Dieses Beispiel zeigt, dass es sinnvoll sein kann, sich als Führungskraft bewusst zu machen, welche Prinzipien und Rollen die eigene Entscheidungsfindung beeinflussen. Es gibt keine allgemeingültigen Rollen, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, welche individuellen Faktoren die eigene Entscheidungsfähigkeit unterstützen.
2. Entscheidungsfreude trainieren
Das Treffen von Entscheidungen ist eine trainierbare Fähigkeit. Wer es vermeidet, sich zu entscheiden, verlernt diese Kompetenz über die Zeit. Die Entscheidungstheorie bestätigt dies: Unsicherheitsvermeidung und Risikoaversion führen dazu, dass Menschen Entscheidungen aufschieben oder delegieren. Dies kann in Unternehmen zur sogenannten Verantwortungsdiffusion führen, bei der sich niemand mehr für eine Entscheidung zuständig fühlt.
Wichtig ist auch: Keine Entscheidung ist letztlich auch eine Entscheidung – und oft eine schlechte. Das bloße Abwarten oder Verschieben von Entscheidungen kann zu Frustration im Team, verpassten Chancen und ineffizienten Prozessen führen.
Tipp für Führungskräfte: Fangen Sie mit kleinen Entscheidungen an. Reduzieren Sie unnötige Meetings zur Entscheidungsfindung und trainieren Sie sich selbst und Ihr Team darin, schneller und sicherer zu entscheiden.
3. Entscheidungsreflexion: Lernen aus Fehlern
Ein weiteres zentrales Element der Entscheidungstheorie ist die Reflexion. Nach jeder Entscheidung sollte eine strukturierte Analyse stattfinden, um daraus zu lernen. Auch in Unternehmen sollte eine strukturierte Entscheidungsanalyse stattfinden. In Post-Mortem-Analysen können denen vergangene Entscheidungen reflektiert werden. Sie helfen dabei, Muster zu erkennen und bessere Entscheidungsprozesse zu etablieren.
Tipp für Führungskräfte: Etabliere eine Kultur, in der Fehler offen analysiert werden. Hole dir proaktiv Feedback ein – Führungskräfte bekommen ungefragt selten Feedback. Nutze strukturierte Methoden wie die 5-Why-Technik oder das Pre-Mortem, um Entscheidungsfallen zu vermeiden.
4. Die Kunst der schnellen Entscheidung und klaren Kommunikation E
in entscheidender Aspekt in der Schiedsrichterei ist die Schnelligkeit der Entscheidungsfindung. Laut Entscheidungstheorie hilft hierbei das Konzept der bounded rationality (begrenzte Rationalität). Es besagt, dass Menschen unter Zeitdruck nicht alle möglichen Alternativen prüfen können, sondern mit begrenzten Informationen eine hinreichend gute Entscheidung treffen sollten.
Dabei reicht eine Entscheidung allein nicht – sie muss auch klar und überzeugend kommuniziert werden. Insbesondere in hitzigen Momenten ist eine deutliche und selbstbewusste Kommunikation entscheidend. Unklare oder schwammige Botschaften können Unsicherheiten und Widerstand im Team hervorrufen.
Tipp für Führungskräfte: Definiere klare Entscheidungsregeln und Kriterien im Voraus, um in Drucksituationen schneller reagieren zu können. Nutze mentale Techniken wie das „Worst-Case-Szenario“, um Unsicherheit zu reduzieren. Kommuniziere Entscheidungen kurz, präzise und mit einer festen Haltung, um Klarheit und Vertrauen im Team zu schaffen.
Fazit: Entscheidungsstärke als Wettbewerbsvorteil
Entscheidungsfreudige Teams und Führungskräfte sind erfolgreicher. Schnelle, klare und reflektierte Entscheidungen sind nicht nur im Profisport, sondern auch in Unternehmen ein Erfolgsfaktor. Wer Entscheidungen vermeidet oder zu lange hinauszögert, riskiert ineffiziente Prozesse und Unsicherheit im Team.
Führungskräfte sollten sich bewusst machen:
✔ Entscheidungen objektiv, klar und empathisch zu treffen.
✔ Die eigene Entscheidungsfähigkeit durch Training zu verbessern.
✔ Entscheidungen konsequent zu reflektieren und aus Fehlern zu lernen.
✔ Proaktiv nach Feedback zu fragen.
✔ Sich durch mentale Techniken auf schnelle Entscheidungen vorzubereiten.
✔ Entscheidungen klar, selbstbewusst und überzeugend zu kommunizieren.
✔ Dass auch keine Entscheidung eine Entscheidung ist – oft mit negativen Folgen.
Wer wagt, entscheidet – und wer entscheidet, führt.
✍️ Über den Autor:
Dr. Katharina Wirtz ist Gründerin von SKET22 GmbH und Scrumkitchen, Trainerin, zertifizierte Coachin (dvct | cSBC) und agile Transformationsberaterin.